Moderation

Steuerung der Lernprozesse durch Moderation

Steuerung der Lernprozesse durch Moderation Steuerung der Lernprozesse durch Moderation

Klassenführung und Gesprächsführung sind zwei Begriffe aus der Lehrerbildung mit sehr langer Tradition und beinhalten das »Führen« der Klasse bzw. der Unterrichtsgespräche durch die Lehrkraft. Das klingt nach Dominanz, nach Ziel- und Richtungsvorgabe, es evoziert ein Bild: Da ist einer, der voranschreitet und weiß, wo es langgeht, und die Gruppe trottet voller Vertrauen hinterher. Nein, diese Karikatur einer »Führungskultur« skizziert nicht die Vorstellung einer zeitgemäßen Steuerungskultur im Unterricht. Lehrkräfte müssen und sollen im Unterricht steuern. Nach Elsbeth Stern braucht guter Unterricht steuerungsaktive Lehrpersonen (Felten/Stern 2012, 144).

„Der Weg zu einer guten Gesprächsführung und einer guten Moderation ist lang und beschwerlich."

Was aber wird gesteuert? Auf jeden Fall werden nicht die Personen bzw. Schüler gesteuert, sondern die Lernprozesse. Sie werden gesteuert nach professionellen Maßstäben. Lerner steuern, hieße sie zu entmündigen, Lernprozesse steuern bedeutet den Weg guten Lernens zu ermöglichen. Der Lehrer frage nicht: Wie bekomme ich den Schüler dahin, dass er das oder jenes sagt, erkennt, versteht, kann, tut, ... sondern, wie gestalte und steuere ich die Lernumgebung und die Lernschritte, sodass Schüler optimale Möglichkeiten haben, viel zu lernen und alle Potenziale bestmöglich genutzt werden. Das professionelle Steuern von Lernprozessen durch die Lehrkraft bedarf einer Diskursauffas-sung von Unterricht, dem Bewusstsein der Charakteristika der jeweiligen Lernschritte und schließlich eines handwerklichen Könnens.

Lehrerausbilder wissen es: Novizen im Lehrberuf lernen rasch Materialien zu erstellen, sind findig in der materialen Gestaltung von Lernumgebungen, schreiten zügig in der Nutzung von Methoden voran und es gelingt ihnen auch alsbald, solide Aufgabenstellungen zu entwickeln. Der Weg zu einer guten Gesprächsführung und zu einer guten Moderation von Lernprozessen ist indes lang und beschwerlich.

„Die Moderation von Lernprozessen braucht professionelles Handwerk."

Die Moderation von Lernprozessen wird durch die Situation bestimmt und erfordert situativ-flexibles Agie-ren. Die Situation fällt überraschend über die Novizen her, bringt sie in Verlegenheit, in Handlungsnotstand. Dabei greifen Novizen oft auf tiefsitzende Sprachmuster zurück, die der Situation gerade nicht angemessen sind. Situativ-flexibles Moderieren braucht Routinen, jedoch die richtigen. Routinen befreien vom Nachdenken über das »Wie« und machen frei für »das, was alles möglich ist«, also für die Möglichkeiten der Situation.

Handwerkliche Routine im Moderieren macht frei für die Möglichkeiten der Situation, für situativ-flexibles Moderieren. Das kann zu geschmeidigem Lehrer-Schüler-Kommu-nikationen führen, muss jedoch noch nicht den Geist des Diskurses atmen. Eine gute Moderation ist diskursiv angelegt und erzeugt Diskursivität. Aber worüber? Diskursivität entfaltet sich im Ringen um die Sache.

„Handwerkliche Routine im Moderieren macht frei für die Möglichkeiten der Situation."

Dabei geht die Kommunikation der Schüler mit einem zunehmenden Eintauchen in den Sachzusammenhang einher. Gutes Handwerk ermöglicht das Öffnen eines Gesprächs; es ist also nur die Eintrittskarte in die Steuerung des Lernprozesses. Aber die Lehrkraft muss die Perspektive der Lernenden durchhalten und dabei zur inhaltlichen Vertiefung anleiten. Maßgebend ist die Diagnose der Schülervorstellungen:

  • Worin besteht die Lernhürde?
  • Wo tun sich Widersprüche auf?
  • Welche Perspektiven bieten die Lernenden an, welche fehlen ihnen?
  • Welches Werkzeug passt?

Die Lehrkraft wählt verbale und nonverbale Instrumente der Moderation aus, die den Blick der Lernenden genau auf diese Lernchancen richtet. Sie bietet den Schülern Strukturierungshilfen an, die den Schülern nicht das Denken abnehmen, sondern den Denkprozess katalysieren. Das gilt für alle Fächer, für alles, was Erkenntnisse und Verstehen erzeugt. Moderation im Geiste des Konstruktivismus geht davon aus, dass Wissen durch Lernende selbst aufgebaut (re-konstruiert) werden muss und nicht einfach vermittelt werden kann. Ein weiterer Schritt in die Ko-Konstruktion ist notwendig. Lernen findet durch Zusammenarbeit statt. Die Lerner sind als Begleiter, Moderatoren und Anreger mitverantwortlich. Bildung und Lernen findet im gemeinsamen Austausch aller Beteiligten statt. Dabei ist die Art des Geschehens, die bewusste Beteiligung von Lernern und ihrer Bindung zueinander, von entscheidender Bedeutung. Lernen ist ein nonverbal und verbal gesteuertes Beziehungsgeschehen.

Was unterscheidet Schülerkommunikation vom Diskurs? Schüler kommunizieren in der Gruppenarbeit miteinander, ein Schüler stellt seine Termumformungen zu den binomi-schen Formeln vor, eine Schülerin erläutert ihre Markierungen in einem Sachtext. Das alles sind Beispiele für Schülerkommunikationen, nicht jedoch für Diskurse. Diese Schülerkommunikationen stellen Ergebnisse vor, die richtig oder falsch sind, knapp oder umfangreich, mehr oder weniger präzise, mehr oder weniger überzeugend dargestellt. Der eigene kreative Anteil ist maßvoll gering und deshalb ist diese Kommunikation nicht diskursiv.

„Die Wirksamkeit der Diskurssteuerung zeigt sich in ertragreichen Diskursen unter den Schülern und mit den Schülern."

Ein rationaler Diskurs ist nach Habermas eine Form der Kommunikation, in der durch Argumentation Erkenntnisse (Geltungsansprüche) gemacht werden und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden (Habermas 1972, 130). Auf den Unterricht bezogen heißt das: Diskurs braucht Gegenstände, Situationen, Fälle, Sachverhalte, ... die in ihrem Ergebnis nicht eindeutig, sondern hinsichtlich Inhalt, Darstellung, Breite und Tiefe vielfältig und sehr verschieden sind. Beispiel: Nicht die Lösung einer Aufgabe zu binomischen Formeln ist diskursiv, sondern Wege zur Lösung mathemati-scher Probleme, die u.a. der binomischen Formeln bedürfen. Diskursiv sind Lernprodukte, z.B. eigene Urteile, Bewertungen, Stellungnahmen, Gutachten, Leserbriefe, Kommentare, Lösungsansätze, kreative Produkte, eigene Gedichte, eigene Kurzgeschichten, Szenenkartons, etc.. Diskurse entfalten sich an Lösungswegen und bilden den Lernprozess ab.

„Die Moderation von Lernprozessen wird durch die Situation bestimmt und erfordert ein situativ-flexibles Reagieren"

Diskurs geht über Kommunikation hinaus. Diskursivität herstellen und einen Diskurs zu steuern ist eine Lehrerleistung. Die Wirksamkeit der Diskurssteuerung zeigt sich in ei-ner hohen Diskursivität, in ertrag- und erkenntnisreichen Diskursen unter den Schülern und mit den Schülern. Ein Diskurs ist beispielsweise eine ergebnisoffene Verhandlung an und über Lernprodukte der Schüler. Diskursivität im Lernraum ist Element der Lern-kultur. Diese Diskurskultur muss vom Lehrer gemeinsam mit den Lernenden entwi-ckelt, aufgebaut und gepflegt werden.

Lernschrittgerecht moderieren Lernschrittgerecht moderieren

Die klassische Gesprächsführung arbeitet sich ab am Gegenstand, am Thema, an der Sache, am Sachtext, am Objekt, am ethischen Fall, am lyrischen Werk, am physikalischen Phänomen, an mathematischen Termen, am biologischen Organ, etc.. Beim Diskurs geht es um Vorstellungen, Ideen, Meinungen, Überlegungen, Verständnisse, Missverständnisse, Verständnisbemühungen der Lerner über die Inhalte. Eine zentrale Lernphase ist die Bearbeitung des Lernmaterials und die Erstellung von Lernprodukten, sei es individuell oder kollektiv. Die Lernprodukte werden in einem ersten Schritt präsentiert, auf die Bühne gebracht und so für den Diskurs vorbereitet. Diese Phase gehört noch in die Hände der Schüler. Im Diskurs wird dann der Lernprozess selbst Gegenstand des Austauschs und der Reflexion.

„Moderation und Rückmeldung gehen Hand in Hand, so wie die Aufgabenstellungen und die Materialien/ Methoden-Werzeuge."

Indem Schüler ihren Lernweg, ihren Erkenntnisgang, ihren Findungsweg zum Diskurs anbieten, werden sie sich dessen selbst bewusst, erkennen sie Neues, Weiteres und Anderes. Und auf diese Art lernen sie ein zweites Mal auf höherer Ebene. Der Diskurs schafft das »eigentliche Ler-nen«, indem der Lerngegenstand und der Lernprozess gleichermaßen Diskursgegenstand sind. Das Beziehungsdreieck Lernprozess – Sache – Diskurs verdeutlicht den Mehrwert gegenüber der Gesprächsführung. Der Diskurs orientiert sich am Lernprozess und am Lerngegenstand. Der Kern des Lernprozesses ist der Diskurs über den elementaren Sachzusammenhang durch die Schüler. Dies bedarf der Steuerung des Lehrers. Der durch Moderation steuernde Lehrer muss die Lernerperspektive einnehmen, den Diskursgegenstand »mit den Augen der Lernenden sehen« (Hattie 2013). Eine auf handwerkliches Können reduzierte Moderation läuft Gefahr jede Lernphase über denselben Leisten zu schlagen, d.h. diese auf dieselbe Art und Weise zu moderieren. Demgegenüber wird eine auf Diskurs ausgerichtete Moderation den Spezifika der Lernschritte gerecht.

Die Aufgabe der Lehrkraft besteht darin, eine Lernumgebung zu gestalten und die Lernprozesse zu steuern:

  • material durch »Aufgabenstellungen« und »Materialien/Methoden«
  • personal durch »Moderation« und »Rückmeldung«.

Eine gelungene personale Steuerung der Lernprozesse umfasst eine gute Moderation und eine gute Rückmeldung an die Lernenden. Moderation und Rückmeldung gehen Hand in Hand, so wie Aufgabenstellungen und Materialien/Methoden. Moderation und Rückmeldungen stehen und fallen mit einer vorausgehenden und vor allem einer begleitenden Diagnose.

„Der durch Moderation steuernde Lehrer muss den Diskursgegenstand mit den Augen der Lernenden sehen."

Wer mit den Augen der Lernenden sehen will, muss deren Perspektive kennen und wissen, was und wie Lerner denken, fühlen, lernen, etc.. Die Di-agnose ist wie ein permanent mitlaufendes Radar, das Lernchancen frühzeitig ent-deckt, wittert und Lernstörungen identifiziert. Die Moderation ist nur so gut wie die vorausgehende und mitlaufende Diagnose.

„Grundlage gelingender Moderation ist, dass die Lehrkraft dem Gegenstand gewachsen sein muss."

Voraussetzung und Grundlage gelingender und ertragreicher Moderation sind, dass die Lehrkraft dem Gegenstand gewachsen sein muss, Diskurse wollen muss. Sie muss also die passende Diskurshaltung haben und dem Diskurs mit anderen standhalten und mehrwertfähig sein.