Kompetenzorientierung

Vom handelnden Umgang mit Wissen und Werten

Kompetenzorientierung Kompetenzorientierung

Was sind Kompetenzen? Die Diskussion um Kompetenzen ist keineswegs neu, sondern hat eine lange Tradition, wenngleich es eine deutliche Akzentverschiebung gibt: Kompetenzen müssen durch Handeln auch unter Beweis gestellt werden (Performanz).

Die Referenzdefinition, die in den deutschsprachigen Veröffentlichungen zitiert wird, stammt von Weinert (2001): Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen (d. h. absichts- und willensbezogenen) und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“

Die Definition verdeutlicht, dass Kompetenz ein Gefüge und etwas Komplexes ist. Was unterscheidet die Kompetenzen von den vertrauten Lernzielen? Lernziele setzt die Lehrkraft, über Kompetenzen verfügen die Lerner. Lehrkräfte können Ziele erreichen, Lerner können Kompetenzen entwickeln und Lehrkräfte können die Entwicklung fördern.

Kompetenz = handelnder Umgang mit Wissen und Werten.

Die obige Definition ist für die Verwendung im Schulalltag recht voluminös und kann in einem ersten Schritt handlicher formuliert werden: Kompetenzen sind verfügbare Fertigkeiten und Fähigkeiten bestimmte Probleme zu lösen und die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich nutzen zu können und zu wollen. Eine noch handlichere Formulierung ist die Kurzformel: Kompetenz = handelnder Umgang mit Wissen und Werten. In dieser Definition wird deutlich, dass Kompetenz immer auch die Performanz (das Tun und Handeln) mit einschließt. Man muss es nicht nur können, man muss es auch zeigen. Das Zeigen geschieht ebenso wie das Erlernen im Handeln. Kompetenzen werden durch Handeln und im Handeln sichtbar. Aber man muss es auch wollen. Motivation, Interesse, Einstellungen, Verantwortungsbewusstsein, Lernwille, also die in der Definition von Weinert genannten motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten werden jedoch nur bedingt im Handeln, wenn überhaupt, sichtbar.

Kurzformulierungen:

  • Kompetenz schließt die Performanz mit ein
  • Kompetenz = Wissen + (Wollen) + Handeln
  • Kompetenz = handelnder Umgang mit Wissen und Werten
  • Kompetenzen werden im Handeln gelernt und im Handeln gezeigt

Eisbergmodell Eisbergmodell

Wie bei einem Eisberg liegen sie unter der Wasseroberfläche, bestimmen aber maßgeblich die durch Handeln sichtbaren Kompetenzen mit. Kompetenz wird definiert, als willentlich handelnder Umgang mit Wissen. In der Kurzformel: Kompetenz = Wissen + Wollen + Handeln. Soll ich jetzt nur noch Kompetenzen unterrichten, ohne Inhalte?

Kompetenzen werden an Inhalten im handelnden Umgang damit erworben.

Die Antwort ist einfach: Kompetenzen werden an Inhalten im handelnden Umgang damit erworben. Folglich gibt es keinen „inhaltsfreien“ Kompetenzerwerb. Im kompetenzorientierten Unterricht ist das Wissen fundamental. Neu ist lediglich, dass das Wissen nicht auf Halde gelernt wird für dann „wenn man es braucht“, sondern es in den handelnden Umgang eingebunden, beim Erwerb, beim Nachweis, bei der Sicherung und der Übung.

Wie werden Kompetenzen erworben und entwickelt? Kompetenzen werden erworben und nachgewiesen, wenn die Lerner authentische Anforderungssituationen bewältigen müssen. „Die Verknüpfung von Wissen und Können darf also nicht auf Situationen ‚jenseits der Schule’ verschoben werden.

Kompetenzen werden erworben und nachgewiesen, wenn die Lerner authentische Anforderungssituationen bewältigen müssen

Vielmehr ist bereits beim Wissenserwerb die Vielfalt möglicher Anwendungssituationen mit zu bedenken.“ (Klieme 2003, S. 79) Es werden Lernumgebungen gestaltet, die die Lernenden in eine intensive, aktive, selbst gesteuerte kooperative Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen. Das sind die idealen Lernsituationen.

Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wissen erworben und zeigen sich im handelnden Umgang mit Wissen. Dieses Wissen umfasst das Fachwissen, aber auch das Methoden- und Strategiewissen, z.B. induktive, deduktive, experimentelle, ... Verfahren. Das Handeln umfasst auch das Sprachhandeln in sprachlichen Standardsituationen, z.B. etwas (Gegenstand, Experiment, Prozess, Sachverhalt, Verfahren ...) darstellen und beschreiben, Darstellungsformen (Tabelle, Graph, Diagramm, Formel, Karte, Skizze, Bild ...) verbalisieren oder physiktypische Sprachstrukturen anwenden.

Kompetenz verbindet Wissen und Handeln. Wissen kann niedrig, gering, einfach, gegenständlich sein oder aber hoch, umfangreich, komplex, abstrakt. Auch das Handeln kann graduiert werden. Es kann erprobend, unsicher, begrenzt, unbewusst erfolgen oder planvoll, sicher, vielfältig, bewusst. Ob jemand eine Kompetenz hat, zeigt sich darin, in welchem Ausprägungsgrad er mit welchem Wissen handelt. Um die Kompetenzen der Lerner zu entwickeln und zu fördern, werden sie in Situationen, z.B. Sprach-, Experimentier-, Übungs-, Anwendungs-, Verwendungssituationen, etc. gebracht, die als Lernsituationen fungieren. (Ähnliche Situationen können auch als Leistungssituationen konstruiert werden, in denen der Lernende zeigen muss, welche Kompetenzen er auf welchem Niveau erreicht hat.)

Wie hängen Kompetenzen mit Kontexten zusammen?
Die Kompetenzentwicklung ist nicht an Kontexte gebunden, diese begünstigen jedoch die Kompetenzentwicklung. Sinnstiftendes Lernen ist nachhaltiger und kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Ein in der Literatur immer wieder genannter Weg ist die Einbettung der Lerngegenstände in Kontexte, also die Kontextualisierung.

Kontextualisierung, Dekontextualisierung und Rekontextualisierung Kontextualisierung, Dekontextualisierung und Rekontextualisierung

Kontextorientiertes Lernen erfolgt in folgenden Lernschritten:

  1. Die Lernenden entdecken und entfalten die Problemstellung (Fragestellung, Thema, Aufgabe, Relevanz, …) an Sachverhalten, die in einen Kontext eingebunden sind.
  2. Die Lerner entwickeln Hypothesen, Deutungsansätze, Bearbeitungsideen und individuelle Vorstellungen zur Problemstellung. Dazu werden auch Vorerfahrungen, Vorwissen, Meinungen, Einstellungen etc. eingebracht. Die Vorstellungen entfalten sich am und im Kontext.
  3. Die Kompetenzentwicklung ist nicht an Kontexte gebunden, diese begünstigen jedoch die Kompetenzentwicklung.

  4. Zusätzlich zum „alten Wissen“ Lerner brauchen „neues Wissen“. Sie brauchen Informationen, Daten, Erfahrungen, Anstöße von außen um weiterzukommen. Diese erhalten sie durch Lernmaterialien (Texte, Arbeitsblätter, Bilder, Experimentiermaterialien, Datenmaterial, ...), direkt durch die Lehrkraft (Lehrervortrag, Infoinput) oder durch Methoden-Werkzeuge (vgl. [4]) begleitet. Unter dem Blickwinkel der Kontextorientierung ist entscheidend, dass das neue Wissen kontextualisiert erworben wird.
  5. Die entwickelten Lernprodukte werden diskutiert und verhandelt und verfestigen sich zu Erkenntnissen und Lernzuwächsen. Unter dem Blickwinkel der Kontextorientierung verbleibt die Diskussion am Kontext und im Kontext. Die Sachverhalte hängen noch sehr eng am Kontext, Sachkontext und Lernkontext fallen nach wie vor zusammen. Hier darf der Unterricht nicht stehenbleiben und schon gar nicht abbrechen.
  6. Wissen wird bei der Kontextorientierung kontextualisiert erworben, jedoch - wie wir aus der Neurobiologie wissen - dekontextualisiert gespeichert und rekontextualisiert gefestigt. Andernfalls entwickelt sich keine Wissensstruktur, die vom Kontext gelöst ist. Das neue Wissen wurde einem bestimmten Kontext gelernt (= Lernkontext). Damit es aber verfügbar wird, muss es vom Kontext gelöst werden (Dekontextualisierung). Nachhaltiges Wissen wird in Begriffs- und Wissensnetzen verankert. Darüber hinaus wird in diesem Schritt Lernbewusstheit hergestellt, indem der Lernzuwachs dem Lerner deutlich und bewusst wird.
  7. Im sechsten Schritt wird der Lernzuwachs nachhaltig im Langzeitgedächtnis verankert. Die Lerner wenden das Gelernte (= Wissensnetz) auf neue Aufgabenstellungen und in einem abgewandelten oder neuen Kontext (= Nachweiskontext) an. Es findet eine Rekontextualisierung statt. So wird erprobt, ob der Kompetenzzuwachs einem erfolgreichen handelnden Umgang standhält. Das Gelernte muss gefestigt und durch Übung verfügbar gemacht werden.

Kontextualisierung, De- und Rekontextualisierung sollten mit den Lernern metareflexiv angegangen und geübt werden. Kontextorientiertes Lernen unterstützt und fördert die Kompetenzentwicklung, ist aber weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für eine Kompetenzentwicklung.